Eine Ausstellung mit William Kentridge im Liebieghaus

Zum zweiten Mal lädt unser Museum einen bedeutenden Vertreter der Gegenwartskunst ein, in den Dialog mit einer Sammlung zu treten, die 5.000 Jahre umspannt. Kurator Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann berichtet von den Vorbereitungen zur Ausstellung William Kentridge. O Sentimental Machine.

Die Idee dahinter

Eine große Leidenschaft antiker Künstler, Mathematiker und Erfinder war die Konstruktion mechanischer Apparate. Überliefert sind zahlreiche Beschreibungen, z. B. von sich bewegenden Kultstatuen oder selbsttätig agierenden Theatern. Die Autómata der alten Griechen beschäftigten mich schon einige Jahre als Idee für eine Ausstellung, als mir die Kunst von William Kentridge begegnete. Der südafrikanische Künstler erarbeitet in seinen Werken beispielhaft die ästhetischen Phänomene, ja, das emotionale Faszinosum von Bewegung und Animation.

Seine Werke hatte ich 2007 im Frankfurter Städel Museum zum ersten Mal gesehen, später begeisterte mich die große Kentridge-Ausstellung in der Wiener Albertina. Die Mischung von scheinbar unbekümmerter Verspieltheit mechanischer Konstruktionen mit dem Ernst der großen historischen Katastrophen des 19. und 20. Jahrhunderts hat mich sehr berührt.

Ein Treffen in Rom

William Kentridge, der 1955 in Johannesburg geboren wurde, steht seit einigen Jahren im Zentrum einer weltweiten Aufmerksamkeit. Der Sohn einer Rechtsanwältin und eines Rechtsanwalts, die für die Rechte der durch die Apartheid unterdrückten farbigen Bevölkerung in Südafrika kämpften, ist ein außerordentlich freundlicher Mensch. Dennoch scheiterte mein erster Versuch, ihn in ein weiterführendes Gespräch zu verwickeln: Im April 2016 gab Kentridge in einem der grandiosen Renaissance-Säle Roms einen Empfang anlässlich der Einweihung seines 500 m langen Werkes „Triumphs and Laments“ am Ufer des Tibers. Bei unserem dortigen Treffen blieb es beim Austausch einiger freundlicher Floskeln, jedoch gab Kentridge mir die Hoffnung auf ein Wiedersehen.

Erste Besprechung in Berlin

Im Juli 2016 ergab sich die Möglichkeit, William Kentridge am Rande seiner Berliner Ausstellung „No it is“ zu treffen. In Berlin angekommen, verbrachte ich den Vormittag begeistert und ehrfurchtsvoll in Kentridges großer Ausstellung im Berliner Gropius Bau und wartete dann vor dem Gebäude auf den Künstler, nachdem wir uns kurzfristig per Handy verabredet hatten.

Kentridge kam nicht allein, sondern mit zahlreichen Künstlern seines Teams. Wir setzten uns im Museumscafé an einen großen Tisch und Kentridge erzählte der Malerin Stella Olivier, dem Bildhauer und Bronzegießer Louis Olivier und dem Maschinendesigner und Kunstschreiner Jonas Lundquist von unserem gemeinsamen Projekt in Frankfurt. So wurde mir klar, dass er es mit unserer Kooperation ernst meinen würde. Ich selbst berichtete von den antiken Autómata und dem Bemühen der griechischen Künstler, den Betrachter durch die Illusion von echtem Leben zu täuschen (Mimesis). Ich versuchte hervorzuheben, dass bereits bei Aristoteles – also im 4. Jahrhundert v. Chr. – das vollautomatische Miniaturtheater beschrieben wird. Auch verwies ich auf die erhaltenen Schriften zu den Autómata des Heron von Alexandria. Bis ich erkennen durfte, dass ich „Eulen nach Athen“ trug: Jonas Lundquist war mit den antiken Quellen bestens vertraut. Mittlerweile habe ich auch begriffen, dass die Beschreibungen des Heron Eingang in einige von Kentridge und Lundquist konzipierte Werke gefunden haben.

Schließlich blickte William Kentridge in die Runde, um dann an Jonas Lundquist gewandt festzustellen, dass unsere Kooperation eine gute Gelegenheit sei, eine lang geplante kinetische Figur, nämlich eine automatisierte Espressokanne, fertigzustellen. Inzwischen wissen wir, dass diese komplexe „Maschine“ mit Namen „Coffee pot“ für Frankfurt eine wichtige Premiere darstellt.

Arbeitssitzungen in Johannesburg

Den freundschaftlichen Begegnungen zum Trotz erhielten wir aber weiterhin keine konkrete Zusage. In einem Meeting mit unserem Direktor Philipp Demandt, der Ko-Kuratorin Kristin Schrader und mir wurde daher entschieden, ein deutliches Signal zu setzen: Es wurde – obwohl noch keine Zusage für einen Ausstellungszeitraum vorlag – ein Besuch von Frau Schrader und mir bei Kentridge in Johannesburg anberaumt. Dieser Besuch im Februar 2017 stellte sich als veritables Arbeitstreffen heraus und konnte als Durchbruch gewertet werden. Erste inhaltliche Festlegungen konnten aufgrund meines ersten Konzeptes getroffen werden. Darüber hinaus hatten wir die einmalige Gelegenheit, die Wirkungsstätten des Künstlers und seiner künstlerischen Mitarbeiter kennenzulernen. Kentridges Arbeiten und Produktionen, sein außerordentlich kreatives Schaffen wird durch zahlreiche Kunstwerkstätten, die sich in Johannesburg, aber auch außerhalb der Stadt befinden, gestützt.

Planungen im Liebieghaus

Das Treffen in Johannesburg befeuerte unsere Hoffnungen, in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler eine eindrucksvolle Ausstellung verwirklichen zu können. Wir beschlossen auch, Sabine Theunissen für die Szenografie einzubinden. Die belgische Bühnenbildnerin war bereits an vielen der Opern- und Theaterproduktionen sowie Ausstellungen von William Kentridge beteiligt.

Im April 2017 kam es zu einem Gegenbesuch von William im Frankfurter Liebieghaus. Zusammen mit Sabine konnte in einer sehr konzentrierten, gemeinsamen Anstrengung ein erweitertes Konzept entwickelt werden, das Sabine zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Marine Fleury in den folgenden Wochen in eine Detailplanung überführte. Dabei entstand in kleinen Schritten ein Raumplan, vor allem aber ein bezauberndes, puppenhaushaftes Modell (siehe Bild).

Arbeitstreffen in Salzburg

Als William Kentridge und Sabine Theunissen im Sommer letzten Jahres die Aufführung der Oper „Wozzeck“ für die Salzburger Festspiele vorbereiteten, wohnten beide mehrere Wochen in der Stadt. Dort trafen wir sie, um das Ausstellungskonzept weiterzuentwickeln, aber auch um die Planung und Gestaltung des gemeinsamen Kataloges, der eher als Künstlerbuch zu bezeichnen ist, voranzubringen. Bei einem gemeinsamen Mittagessen im Sacher aßen wir – klischeehaft – Tafelspitz. Zum Nachtisch bestand William auf – für ihn wohl neu – Salzburger Nockerl, die als zwei runde Hügel auf einem Silbertablett serviert wurden.

Bei der Verabschiedung entschuldigte er sich, dass er noch Zeichnungen fertigstellen müsse. Als wir Wochen später anlässlich der Generalprobe von „Wozzeck“ ein zweites Mal in Salzburg waren, tauchten dieselben Salzburger Nockerl als projizierte Zeichnung auf der Bühne auf...

Der Aufbau ist vollbracht

Fast zwei Monate hat der Aufbau der Ausstellung gedauert. Jetzt erstreckt sie sich durch das gesamte Liebieghaus – einschließlich der sogenannten Studioli im Dachgeschoss. In den meisten Räumen gesellen sich die Arbeiten von Kentridge zu unserem Sammlungsbestand. Drei große Räume werden jedoch von den großen Installationen des Künstlers beherrscht.

Wir sind sehr glücklich, ein zentrales Werk, das Kentridge 2005 zusammen mit Lundquist entwickelt hat, endlich wieder – nach einer aufwendigen Überholung der Technik – zeigen zu können. Es handelt sich um „Black Box/Chambre Noir“, ein mechanisches und automatisches Miniaturtheater, das dem automatischen Theater bei Aristoteles, Philon und Heron ähnelt. Es erzählt aber nun keinen antiken Mythos, sondern vielmehr die wahre Begebenheit der grausamen Vernichtung der Hereros und Namas durch preußisches Militär in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. „Black Box/Chambre Noir“ befindet sich im ehemaligen großen Salon, dem Herzen der Villa. Hier verbrachte das Industriellen-Ehepaar Karoline und Heinrich von Liebieg viele Stunden, während zur selben Zeit auf dem afrikanischen Kontinent der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts verübt wurde.

Beim Besuch des Liebieghauses werden die Interventionen von William Kentridge Sie sicher zu vielen weiteren Gedankengängen anregen. Wir alle hoffen sehr, dass Ihnen diese außerordentliche Liebieghaus Ausstellung, die einem ganz lebendigem Künstler Raum gibt, gefallen wird.

Autor:

Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann

Leiter der Abteilungen Antike und Asien

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