Zwei Prophetenbüsten
Michel Erhart

Ulm
um 1490

Lindenholz, ursprünglich farbig gefasst
Höhe 43 cm und 44,5 cm

Teilen

Teilen

Die Büsten zweier alter Männer gehören zu den bedeutenden Stücken schwäbischer Skulptur. Der bärtige mit dem sogenannten Chaperon als Kopfbedeckung hat sprechend den Mund geöffnet und weist auf ein Spruchband, das er vor sich hält. Der andere blickt mit zahnlosem Mund mürrisch dem Betrachter entgegen. Ein Tuch umschlingt Kopf und Schultern. Auch er hält ein Spruchband, das charakteristische Attribut biblischer Propheten. Einst dürfte darauf ihr Name oder der Anfang einer typischen Bibelstelle gestanden haben, wodurch beide zu identifizieren waren.

Obwohl 1908 und 1913 getrennt voneinander gekauft, gehören die Büsten zusammen. Dafür sprechen Größe, Material und Stil. Letzterer ermöglicht eine Zuordnung der ungemein lebendigen und in ihrer Naturbeobachtung sehr differenzierten Büsten an einen der bedeutendsten Bildhauer der Spätgotik, den in Ulm tätigen Michel Erhart. Erhart muss am Oberrhein, wohl in Straßburg bei Niclaus Gerhaert von Leyden, dem bedeutendsten und innovativsten Bildhauer seiner Zeit, gelernt haben. Allzu deutlich ist sein Stil von dessen Interesse an räumlicher Entfaltung und lebensnaher Gestaltung der Skulptur geprägt. Wie dieser arbeitete er virtuos in Stein und Holz. Seine frühesten Arbeiten sind die grandiosen Büsten antiker Philosophen und Sybillen am 1469 bis 1474 entstandenen Chorgestühl im Ulmer Münster.

Ihre formale Abhängigkeit von den Büsten Gerhaerts, zum Beispiel der „Bärbel von Ottenheim“ im Liebieghaus, ist offenkundig. Dies gilt auch für die beiden Prophetenbüsten. Doch sprechen Material und ehemalige Bemalung in diesem Fall eher dafür, dass sie von einem Altar stammen und nicht von einem Chorgestühl. Entstanden sind sie um 1490/95, in der absoluten Blütezeit der Erhart-Werkstatt.