Heilige Barbara
Michel Erhart und Werkstatt

Ulm
um 1490

Lindenholz, originale Fassung, partiell übergangen
Höhe 45 cm

Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.

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Die 2011 aus dem Bamberger Kunsthandel für das Liebieghaus erworbene, um 1490 in der Werkstatt des renommierten Ulmer Bildschnitzers Michel Erhart entstandene Büste der Heiligen Barbara besitzt im Gegensatz zu ihrem in Wien erhaltenen Gegenstück der Heiligen Katharina eine relativ gut erhaltene originale Fassung. Dies war einer der zentralen Gründe ihres Ankaufs, zumal die Büste zahlreiche interessante und für Erhart-Werke signifikante technische Details aufweist, die den Figuren ihre typische Lebendigkeit und Lebensnähe verleihen, etwa die überaus realistisch wirkende Porigkeit der Haut durch das Aufstupfen der Farbe oder der charakteristische malerische Aufbau von Augen und Lippen. Bei genauerer Untersuchung ergaben sich zahlreiche technologische Fragen, die den Wunsch nach einer experimentellen Kopie bzw. Rekonstruktion aufkommen ließen. Diese sollte die ursprüngliche Gestalt der Büste – ohne Alterungsspuren, Verletzungen und spätere Veränderungen – vor Augen führen; sie sollte vor allem aber helfen, den handwerklichen Entstehungsprozess und materiellen Aufbau der Skulptur möglichst exakt und authentisch nachzuvollziehen.

Grundlage für diese Arbeit waren vergleichende Untersuchungen von Erhart-Werken mit ursprünglicher Polychromie in Paris und Hamburg. Vor allem aber lieferte der Blaubeurer Hochaltar mit seiner hervorragend erhaltenen Originalfassung die wesentlichen Referenzdaten für die Rekonstruktion. Die naturwissenschaftliche Auswertung von Materialproben, die an der Liebieghaus-Büste und in Blaubeuren entnommen wurden, stellte das Experiment auf naturwissenschaftlich fundierte Beine. Auf diesen Analysen und dem sichtbaren Befund basierende praktische Versuche ließen schließlich eine Büste entstehen, die in den technischen Details ihrer Herstellung und ihrem optischen Ergebnis der ursprünglichen Skulptur sehr nahe kommen dürfte.

Das strahlende warme Gold von Krone, Kelch und Mantel, das flächig azuritblaue Gewand mit seinen golden glitzernden Pailletten, die Imitationen von tiefroten, blinkenden und sattblauen Edelsteinen, aber auch die weißliche Haut des Gesichtes mit Rötungen an Wangen, Kinn und Nase, die fein modellierten Lippen und Augen: Das erscheint in seiner Perfektion und Unversehrtheit zunächst etwas künstlich, ja kitschig und daher gewöhnungsbedürftig. Doch schließt sich dies alles recht schnell zu einem homogenen und überzeugenden Gesamteindruck zusammen. Bei gedämpftem Licht oder Kerzenschein nivellieren sich die extremen Farbkontraste, das seidenmatte gestupfte Inkarnat erscheint rosiger und die mit einem pigmentierten Überzug versehenen vergoldeten Haare aus Zwischgold gleichen den golden schimmernden blonden Haaren der Tafelbilder jener Zeit und setzen sich deutlich stärker von den reflektierenden Goldflächen ab als bei hellem Tageslicht. Insgesamt entstand eine Heiligenfigur von überraschend realistischem Aussehen, die eine frappierende Lebendigkeit entwickelt.