Vesperbild

Mittelrhein (Mainz ?)
um 1390

Nussbaumholz, originale Farbfassung, partiell ergänzt
Höhe 80 cm

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Figurengruppen mit dem vom Kreuz abgenommenen toten Christus auf dem Schoß seiner trauernden Mutter Maria wurden im 14. Jahrhundert populär. Die Bezeichnung Vesperbild kommt von lateinisch vespera (Abend). Sie verweist auf das christliche Abendgebet, die Vesper, bei der man der Kreuzabnahme Christi und der Beweinung seines Leichnams gedachte. Vesperbildern kam dabei eine wichtige Rolle zu. Allerdings verzichten sie auf den in der Bibel geschilderten konkreten Zusammenhang.

Bei der Frankfurter Gruppe erinnern nur noch die Schädel und der Knochen am Fuße des Erdhügels, auf dem Maria sitzt, an den Hinrichtungsort Christi, die Schädelstätte, Golgatha. Vesperbilder haben also zeichenhaften, nicht erzählenden Charakter. Sie ermöglichen somit mehr als nur die Erinnerung an ein bestimmtes historisches Ereignis. So wie Maria den geschundenen, blutüberströmten Leib ihres Sohnes vor sich hält, bietet sie ihn dem Betrachter geradezu dar. Der ist aufgefordert genau hinzusehen. Er soll das ganze Passionsgeschehen nachvollziehen und alle erlittenen Qualen Christi nachempfinden; daher auch die italienische Bezeichnung Pietà (Mitleid). Er soll so mitleiden, wie es Maria vorlebt. Ihre Mimik spricht Bände. Das Zeigen des Christuskörpers erinnert außerdem an das Vorweisen der Hostie in der Messe durch den Priester. Das verbildlicht die Vorstellung, der Leib Christi sei mit der Hostie identisch.

Eine weitere Sinnebene eröffnet der sichtlich verkleinerte Christus, der die Gedanken auf das Jesuskind lenkt. Mit dem Blick auf den Leichnam wird so ins Gedächtnis gerufen, dass Christus geboren wurde, um durch seinen Tod die Menschen von ihren Sünden zu erlösen. Das Bildwerk wird somit zum Kürzel für die ganze christliche Heilsgeschichte.