Mittelalter

Die Sammlung mittelalterlicher Skulpturen umfasst Werke aus mehr als sechs Jahrhunderten. Erlesene Bildwerke geben spannende Einblicke in die zumeist christliche Bildhauerkunst zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert.

Highlights der Sammlung

Sammlungsleiter

Stefan Roller

Dr. Stefan Roller ist seit September 2006 Leiter der Abteilung Mittelalter in der Liebieghaus Skulpturensammlung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen süddeutsche Skulptur der Spätgotik (insbesondere Ulm und Nürnberg), veristische Gestaltungsmittel wie Polychromie oder die Verwendung von Realien in der (nicht nur) mittelalterlichen Skulptur. Ein weiterer Themenbereich ist die Nürnberger Tafelmalerei der Spätgotik.

Dr. Stefan Roller beschreibt ein persönliches Highlight-Werk aus seinem Sammlungsbereich

Ich habe mich für das Erhartsche Christuskind entschieden, weil es sich um die bedeutendste Neuerwerbung für die Mittelalterabteilung des Liebieghauses der letzten Jahre handelt. Figuren in dieser künstlerischen und handwerklichen Qualität sind äußerst rar.
Auch ist die Figur, einmal abgesehen von seinen abgesägten Armen, in außerordentlich gutem Erhaltungszustand zu uns gekommen und besitzt noch seine sehr gut erhaltene originale Bemalung, die hoffentlich bald von Verschmutzungen und einigen Übermalungen befreit werden kann, womit die Skulptur noch lebendiger erscheinen wird.
Die Figur, die dem berühmten Ulmer Bildschnitzer Michel Erhart (geb. um 1440/45 - 1522 nachweisbar) zugeschrieben werden kann, stammt ursprünglich sicherlich aus dem Besitz einer Nonne vornehmer oder zumindest betuchter Herkunft, die sie als „Mitgift“ ins Kloster mitbrachte, um sie in ihren religiösen Alltag zu integrieren (das Gros derartiger Kinder war in Größe und Ausführung weitaus bescheidener). Vor allem in der Advents- und Weihnachtszeit dienten derartige Bildwerke als Objekte der Andacht, aber auch als geistige „Handlungshilfe“: Sie halfen den Schwestern, sich in die Rolle Marias als Schwangere und Mutter hineinzuversenken. Das geschah nicht nur auf meditativem Weg, sondern durchaus handfest. Die Figuren wurden behandelt wie reale Kinder, liebkost, gewiegt, bekleidet. Und letzteres war wohl auch der Grund, warum der Skulptur zu unbekanntem Zeitpunkt die Arme abgesägt wurden: So war das An- und Ausziehen leichter. Leider war damit aber auch der Verlust der Arme, die nach dem Bekleiden wieder angesteckt wurden, vorprogrammiert.
Derartige Christuskinder bildeten die „Vorläufer“ unserer Weihnachtskrippen, die sich in der bekannten Form erst im 16. Jahrhundert ausbildeten. Das Liebieghaus besitzt inzwischen einen ganzen spätgotischen „Kindergarten“: neben dem Erhartschen Jesuskind noch zwei kleine, zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstandene Statuetten aus Mecheln und dem Rheinland sowie einen wohl um oder kurz nach 1500 in Augsburg geschnitzten, auf einem Kissen sitzenden Knaben. Aber keine dieser Figuren ist so lebensnah und vital aufgefasst wie das Erhartsche Christuskind. Und keine versprüht soviel gute Laune und Zuversicht.

Lesen Sie mehr über das Christuskind in Forschung & Journal