Provenienzforschung als Spurensuche: Wie fand der König den Weg ins Liebieghaus?

Die Wandfigur „Anbetender König mit einem Geldkasten“ befindet sich seit 1935 im Eigentum der Liebieghaus Skulpturensammlung. Ihre Provenienz (Herkunft) war bis dato weder bekannt noch ausreichend dokumentiert. Im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts am Liebieghaus ist es gelungen, einzelne Objektspuren zu einem vollständigen Bild zusammenzusetzen und den einstigen Besitzer zu identifizieren. Anna Heckötter vollzieht die einzelnen Schritte der erfolgreichen Recherche in diesem Beitrag nach.

Schritt 1: Das Inventarbuch – das „Wareneingangsbuch“ eines Museums

Das zentrale und in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzende dokumentarische Verzeichnis einer jeden musealen Sammlung ist das Inventarbuch. Dort werden idealerweise in der Reihenfolge ihres Eingangs in die Sammlung alle Kunstgegenstände aufgeführt und mit einer Inventarnummer versehen. Weiterhin finden sich dort allgemeine Werkangaben wie Künstler, Titel, Datierung und Informationen zu Maßen, Material und Technik. Außerdem werden in der Regel noch der Verkäufer bzw. Vorbesitzer und der gezahlte Preis bzw. die Art der Erwerbung benannt (z. B. Kauf, Geschenk, Tausch, Vermächtnis) sowie beliebige weitere Informationen hinzugefügt. Die Königsfigur des Liebieghauses ist im Jahr 1935 inventarisiert worden. Als Herkunftsangabe sind dort lediglich „Slg. Spengler“ sowie der Kaufpreis in Höhe von 2.500 Reichsmark vermerkt.

Schritt 2: Das Museumsarchiv – das „Gedächtnis“ eines Museums

Der Name Spengler war für uns Forscherinnen kein unbekannter, tauchte er doch bereits im Zusammenhang mit einer vorangegangenen Kontextforschung im Provenienzforschungsprojekt am Liebieghaus auf. Damals wurden die Umstände zum Ankauf und zur Auflösung bzw. Verteilung der Sigmaringer Sammlung durch ein großes, vom Städelschen Kunstinstitut geführtes Konsortium aus Sammlern, Händlern und Museen im Jahr 1928 untersucht. Dr. Alexander Spengler aus Wernigerode übernahm 23 Kunstgegenstände aus der ehemaligen fürstlichen Sammlung, die insgesamt über 1.200 Kunstwerke umfasste. Doch die entscheidende Frage, die sich nun aus dieser Sachlage ergab, war: Handelt es sich bei Alexander Spengler auch tatsächlich um die gesuchte Person hinter der „Slg. Spengler“? Eine Suche im Findbuch des Museumsarchivs ergab keine weiteren Treffer – eine direkte Überlieferung zu dem anbetenden König schien also nicht erhalten zu sein.

Schritt 3: Datenbanken – unentbehrliche Hilfsmittel der Provenienzforschung

Nachdem die hausinterne Recherche keine weiteren Erkenntnisse zur Sammlung Spengler herbeigeführt hatte, die besagte Vermutung eines Zusammenhangs mit dem Sammler Alexander Spengler aus Wernigerode jedoch nach wie vor bestand, weiteten wir die Suche nach Informationen auf externe Archive aus. Das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, das Bildarchiv Foto Marburg, verwaltet eines der weltweit größten Bildarchive zur europäischen Kunstgeschichte. Die Bestände sind über eine Datenbank abrufbar. Im Zuge einer objektbezogenen Suche stießen wir dort auch auf den König aus dem Liebieghaus, der mit gleich drei Fotografien überliefert ist. Auf den Fotografien ist die Herkunftsangabe „Osnabrück, Coll. Spengler“ sowie die Datierung der Aufnahmen auf die 1920er-Jahre vermerkt. Der Suchbegriff „Spengler“ führte in der Ergebnisliste allein 64 Skulpturen auf, von denen sich weitere zur heutigen Sammlung des Liebieghauses gehörig herausstellten – teilweise zählen sie seit 1928 zum Bestand des Museums. Eine heutige Mitarbeiterin des Bildarchivs Foto Marburg konnte bestätigen, dass die Osnabrücker Sammlung Spengler im Wintersemester 1926/27 im Zuge einer Fotokampagne von Foto Marburg dokumentiert worden war. Lässt sich die Sammlung Spengler in Osnabrück mit Alexander Spengler aus Wernigerode zusammenbringen?

Schritt 4: Personenrecherche und externe Expertenhilfe

Das Telefonbuch des Jahres 1928/29 der Stadt Wernigerode verzeichnet tatsächlich einen „Dr. Alexander Spengler, Rechtsanwalt“. Wie eine Mitarbeiterin des Stadtarchivs Wernigerode mitteilte, haben sich jedoch keine Unterlagen erhalten, die Informationen zum Zu- und Fortzug Alexander Spenglers lieferten. Auch die kulturellen Institutionen der Stadt konnten keine weiteren Informationen zu Alexander Spengler ermitteln. Die Meldeunterlagen der Stadt Osnabrück aus dem Niedersächsischen Landesarchiv, lieferten schließlich das entscheidende Verbindungsstück zwischen Wernigerode – Spengler – Osnabrück und dem Liebieghaus: Die dortige Archivmitarbeiterin konnte bestätigen, dass Dr. jur. Alexander Alfred Balthasar Spengler, geboren am 25.1.1889 in München-Gladbach (heute: Mönchengladbach), im Jahr 1918 nach Osnabrück kam und dort mit Unterbrechungen bis 1927 ansässig war. Der Meldebogen Alexander Spenglers nennt als weitere Stationen neben Berlin auch Wernigerode. Die Vermutung, dass Dr. Alexander Spengler mit der genannten „Slg. Spengler“ in Verbindung zu bringen ist, konnte also verifiziert werden. Die erfolgreich abgeschlossene Provenienzrecherche zu „Anbetender König mit einem Geldkasten“ brachte hervor, dass der Vorbesitzer Alexander Spengler die Skulptur seit mindestens 1926 besessen und offensichtlich direkt an die Liebieghaus Skulpturensammlung verkauft hat. Die zentralen Dokumente für die Rekonstruktion der Provenienz waren in diesem Fall die datierten Fotografien im Bildarchiv Foto Marburg.

Zwischenschritte oder: Kontextwissen als „Nebenprodukt“ der Provenienzrecherche

Eine objektbezogene Recherche verläuft häufig nicht stringent und selten nach einem vorgegebenen und regulär anwendbaren Muster, das am Ende die eine gesuchte Antwort liefert. Oftmals bringen die Suche in Archiven und Datenbanken, die Anfragen bei Kolleginnen und Kollegen und die Sichtung relevanter Literatur nebenbei vielerlei Informationen zu historischen Kontexten hervor, die für die reine Dokumentation der Objektbiografie bzw. Provenienz eines bestimmten Werks zwar nicht erforderlich, aber dennoch für die Forschung im weiteren Sinne von Interesse sein können. Im Kontext der Sammlung Spengler stellten wir beispielsweise fest, dass zur Person Alexander Spengler und dessen möglicherweise durchaus umfangreichen privaten Kunstsammlung bis zum heutigen Zeitpunkt wenig bekannt bzw. publiziert worden ist. Die bislang veröffentlichten Fakten betreffen ausschließlich die Rolle Spenglers, der ab den 1930er Jahren als Anwalt in Köln tätig war, im Zusammenhang mit der Arisierung der Münchener Kunsthandlung A. S. Drey. Als Anwalt der Familie Drey vermittelte er die Übernahme der Kunsthandlung durch seinen engen Bekannten Walter Bornheim, der sie unter dem Namen „Galerie für alte Kunst (ehemals A. S. Drey)“ weiterführte. Es ist zu vermuten, bislang jedoch noch nicht belegt, dass Spengler Teilhaber, vielleicht sogar alleiniger Inhaber der „Galerie für alte Kunst GmbH“ war. Dieser Punkt verdeutlicht exemplarisch, dass die historische Aufarbeitung rund um die Person Alexander Spengler noch reichlich Ansätze und Stoff für weitergehende Forschungen bietet.

Die Skulptur „Anbetender König mit einem Geldkasten“ ist im Schaudepot der Liebieghaus Skulpturensammlung zu sehen, das im Rahmen von Hinter den Kulissen für Besucherinnen und Besucher zugänglich ist.

Autor:

Anna Heckötter

Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung

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